Im Sommer 2018 konnte Jean-Pierre Lopez die Uhr seines Vaters wieder aufziehen, eine eckige Uhr mit silbernem Gliederarmband und weißem Ziffernblatt. „Eine außergewöhnliche Sache“, schrieb er dem ITS, „es scheint, dass sie nach 74 Jahren noch perfekt funktioniert.“

74 Jahre, so lange ist es her, dass seinem Vater die Uhr abgenommen wurde. Zusammen mit Fotos und einem Schlüssel bekam der Sohn sie nun vom ITS zurück. Ein besonderer Moment, wie er schreibt: „Ich möchte hinzufügen, dass es sehr emotional für mich war, das Paket zu öffnen. Mit meinen Augen die persönlichen Effekte meines Vaters zu sehen und sie mit meinen Händen zu berühren.“

1944 verhaftete die Gestapo den Vater, José Lopez, in Gironde. Damals arbeitete der junge Mann für eine Holzfirma, um vor der Heirat etwas Geld anzusparen. Die deutsche Besatzungsmacht beschuldigte den gebürtigen Spanier, seinen Militärdienst in Spanien unter Franco nicht geleistet zu haben. „Jedoch war mein Vater erst zwei Jahre alt, als er nach Frankreich kam“, erklärt sein Sohn, „und hat sein Heimatland gar nicht kennengelernt.“ Der Vater war zwar 1921 in Puigcerdà nahe der französischen Grenze in Spanien zur Welt gekommen. Er zog mit seinen Eltern kurz darauf nach Frankreich, wo sich die Familie dauerhaft in einer Bergbaustadt bei Bessèges niederließ. Die deutsche Polizei warf ihm aktiven Antifaschismus vor und deportierte ihn unter diesem Vorwand.

Oft erzählte der Vater später von seiner Verhaftung, der Deportation nach Deutschland und dem KZ Neuengamme. „Er sprach über die Grausamkeit der Nazis, der SS, die Misshandlung in der Sklaverei“, erinnert sich sein Sohn. Auch Hunger, Einschüchterung und die unmenschliche Arbeit schilderte er. Davon, wie „Saboteure“ – Menschen, die unbeabsichtigt Fehler machten – in der Fabrik gehängt wurden. Zur Abschreckung. Fast hätten ihn die Nazis selbst auf diese Weise umgebracht. „Aber er wurde doch nicht hingerichtet“, sagt sein Sohn, „wahrscheinlich ein Versehen.“ Trotzdem kostete ihn die Schinderei beinahe das Leben. Er war für das Ausfüllen der Bombenlöcher auf dem Flughafen zuständig – auch während der Luftangriffe. Er musste die Toten einsammeln und ins Krematorium bringen und ständig aufpassen, dass ihm niemand noch die magere Tagesration Brot stahl. Am Ende wog er 40 Kilogramm und hatte Typhus.

„Trotz dieser schrecklich schmerzhaften Erfahrung hat mein Vater das deutsche Volk nie gehasst.“ Das ist Jean-Pierre Lopez wichtig. „Auch uns hat er nie Hass eingeflößt.“ In seinen Schilderungen habe er immer einen Unterschied gemacht zwischen den regulären Soldaten der Wehrmacht und der SS. Dem Sohn liegt viel daran, dass auch seine Kinder ohne Aggression und Vorurteile aufwachsen.

Entstanden ist der Kontakt durch eine Ausstellung in Salzgitter, in der Effekten – also persönlichen Gegenständen von KZ-Häftlingen – aus dem Archiv des ITS gezeigt wurden. Im Vorfeld hatten die Kuratorinnen den Bürgermeister des Wohnorts der Familie angeschrieben, sodass Jean-Pierre Lopez zu der Ausstellung reisen konnte und der Kontakt zum ITS hergestellt wurde.

Der ITS sucht über die Kampagne #StolenMemory Angehörige ehemaliger KZ-Häftlinge, von denen er noch rund 3.000 persönliche Gegenstände verwahrt.

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