In den 1920er Jahren avancierten Boxkämpfe in Deutschland zu riesigen, medienwirksamen Sportveranstaltungen. Der Profiboxer Johann „Rukeli“ Trollmann gehörte zu den absoluten Publikumslieblingen. 1933 wurde er Deutscher Meister im Halbschwergewicht, aber die Nationalsozialisten erkannten ihm den Titel wenige Tage später unter fadenscheinigen Begründungen ab. Sie drangsalierten Rukeli, weil er Sinto war – aber auch wegen seines modernen und „undeutschen“ Kampfstils.

Flink auf den Beinen, athletisch, elegant – viele erkannten bei Rukeli Trollmann bereits den besonderen Boxstil, für den Muhammad Ali später berühmt wurde. Rukeli war seiner Zeit voraus und besiegte seine Gegner mit Schnelligkeit und einer Technik, die wohlgesonnene Reporter „Faustfechten“ nannten. Manche Pressestimmen und Sportfunktionäre diffamierten ihn aber auch schon Jahre vor der Machtergreifung der Nazis als „Gypsy“ oder „tänzelnder Zigeuner“. Bereits 1929 strich der Deutsche Boxverband seinen Namen aus der Teilnehmerliste für die Olympischen Spiele in Amsterdam. Stattdessen wurde ein schwächerer Boxer geschickt, den Rukeli vorher schon einige Male besiegt hatte.

Eine steile Karriere

Johann „Rukeli“ Trollmann wurde am 27.12.1907 bei Gifhorn in eine Sinto-Familie geboren. Den Spitznamen Rukeli bekam er später als Boxer aufgrund seiner athletischen Figur: „Ruk“ bedeutet in der Sprache der Romanes „Baum“. Rukeli wuchs in Hannover auf und begann dort 8-jährig mit dem Boxen. Mit Anfang 20 war er schon viermal Regionalmeister und hatte den Norddeutschen Meistertitel gewonnen. Er begann eine Profi-
Karriere im Mittel- und Halbschwergewicht und seine Kämpfe füllten immer größere Hallen.

Rukeli (3.v.r.) im Jahr 1929 mit den anderen Amateur-Boxern des Boxclub „Sparta“ in Hannover.

Ab 1932 boxte Rukeli nur noch gegen die besten Gegner, auch international. Für die Nationalsozialisten wurde er nach ihrer Machtübernahme im Januar 1933 zum Problem, denn Rukeli unterminierte als Sinto das Bild vom überlegenen deutschen Kämpfer. Gleichzeitig war er schon zu beliebt und erfolgreich, um ihn grundlos vom Boxsport auszuschließen.

"Deutscher Faustkampf"

Boxen stand im Mittelpunkt der NS-Kampfideologie. Besonders die Kämpfe des Vorzeigeathleten Max Schmeling (Foto: New York World-Telegram and the Sun) wurden propagandistisch ausgeschlachtet. Im „Deutschen Faustkampf“ sollte sich die „arische“ Überlegenheit zeigen – obwohl in Deutschland viele nichtarische Boxer sehr erfolgreich kämpften und Afroamerikaner den internationalen Sport anführten.

Meistertitel aberkannt

Am 9. Juni 1933 kämpfte Rukeli vor 1.500 Zuschauern um den Deutschen Meistertitel. Er war seinem Gegner haushoch überlegen. Dennoch wollten die Punktrichter den Kampf auf Weisung anwesender NS-Funktionäre als unentschieden werten. Das empörte Publikum protestierte so lange, bis Rukeli doch zum Sieger erklärt wurde. Tage später erkannte der Verband ihm den Titel aber wieder ab. Am 21. Juli 1933 beendete ein letzter Boxkampf in Berlin Rukelis Karriere. Man hatte ihm mit dem Entzug seiner Boxerlizenz gedroht, wenn er diesmal nicht seinen tänzelnden Stil ablegen und sich „dem Kampf stellen“ würde. Aus Protest blondierte Rukeli sich die Haare, puderte seine Haut weiß und stellte sich direkt vor seinen Gegner. Mit hängenden Armen und ohne Gegenwehr ließ er sich k.o. schlagen. Kurze Zeit später verlor er seine Boxlizenz.

©: André Geißenhöner
©: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma e.V. / Andreas Pflock

Rukeli Trollmanns Leistungen als Sportler und seine tragische Verfolgung wurden erst spät gewürdigt. 2003 erkannte ihn der Bund Deutscher Berufsboxer offiziell als Deutschen Meister im Halbschwergewicht 1933 an. Ein Jahr später weihte die Stadt Hannover den „Johann-Trollmann-Weg“ ein. 2011 wurde in Berlin-Kreuzberg eine Sporthalle nach ihm benannt (Foto links). In Berlin, Hannover und Hamburg gibt es einige weitere Gedenkorte. Auch Filme und Theaterstücke erinnern heute an Rukelis Geschichte.

»Im Ausland ist Rukelis Schicksal bekannter als in Deutschland und seine Anerkennung ist viel weiter fortgeschritten als hier. Besonders in USA und Kanada gibt es zahlreiche Ausstellungen und sogar Denkmäler für ihn.«

Diana Ramos-Farina, Großnichte von Rukeli und Kulturreferentin des Rukeli Trollmann e.V.

Als „Zigeuner“ verfolgt

Im Juni 1935 heiratete Rukeli in Berlin und bekam im selben Jahr eine Tochter. Durch den Erlass der Nürnberger Rassengesetze am 15. September 1935 begann für ihn, wie für alle Sinti und Roma, ein schwerer Leidensweg. Ende Dezember 1935 wurde Rukeli zwangssterilisiert. 1938 ließ er sich von seiner Frau scheiden, um sie und die Tochter zu schützen. Er wurde monatelang im Arbeitslager Hannover-Ahlem festgehalten. 1939 zog die Wehrmacht ihn zum Kriegsdienst ein. Rukeli kämpfte in Polen, Belgien, Frankreich und an der Ostfront, wo er verwundet wurde. Im Februar 1942 wurde er wie alle „Zigeuner“ aus „rassepolitischen Gründen“ aus der Wehrmacht entlassen. Im Juni 1942 verhaftete ihn die Gestapo erneut in Hannover.

Zum Boxen gezwungen

Rukeli kam ins Konzentrationslager Neuengamme, wo er nicht nur schwerste Zwangsarbeit leisten, sondern abends ständig zu Boxkämpfen antreten musste. Er starb am 9. Februar 1943 – laut der Original-Sterbeurkunde in den Arolsen Archives durch „Versagen von Herz und Kreislauf bei Bronchopneumonie“. Über 20 Jahre später machte jedoch einer seiner Mithäftlinge eine Zeugenaussage, die die Wahrheit ans Licht brachte. Der Mann gab an, im Außenlager Wittenberge selbst mit angesehen zu haben, wie Rukeli von einem Kapo (KZ-Häftling mit Leitungsfunktion), der ihm in einem Boxkampf unterlegen war, schikaniert, gequält und am Ende mit einem Knüppel erschlagen wurde. Auch dieses Dokument wird in den Arolsen Archives aufbewahrt.

Rukeli Trollmann e.V.

2013 wurde der Verein “Rukeli Trollmann” gegründet, um das Andenken an den Menschen und Boxer zu bewahren und dafür zu sorgen, dass seine Geschichte öffentliche Anerkennung erfährt. Außerdem fördert der Verein junge Talente mit und ohne Migrationshintergrund, die im Sport oder im künstlerischen Bereich sehr begabt sind.

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