Fritz Dinstühlers Geschichte zeigt die schwierige Rolle von Kirchenmännern im NS-Regime. Der katholische Pfarrer war ein mutiger Gegner des Nationalsozialismus – und wurde von einem befreundeten Pfarrer denunziert. Seine Familie ging beim ITS auf Spurensuche.

„Mein Onkel ist nie aus unserem Haus gegangen, ohne uns zu segnen – und Gemüsesuppe mag ich heute nur, weil wir immer extra für ihn eine gekocht haben.“ Anna-Regina Cremer erzählt bei ihrem Besuch in Bad Arolsen viel von ihrem Lieblingsonkel. Sie war 12 Jahre alt, als der Pfarrer im Januar 1945 von den Nationalsozialisten wegen „Landesverrats“ verhaftet wurde. Danach sah sie ihn nie wieder: Dinstühler starb wenig später im Konzentrationslager Buchenwald. Seine Geschichte recherchieren die 88-Jährige und ihre Familie schon seit vielen Jahren. Jetzt kam sie mit ihren beiden Töchtern und den Schwiegersöhnen zum ITS, um anhand von Originaldokumenten Fritz Dinstühlers Leidensweg nachzuvollziehen.

Der engagierte Gegner des Nationalsozialismus erlebte 1936 seine erste direkte Konfrontation mit dem Regime. Ein Professor hielt in Dinstühlers Gemeinde einen Vortrag über die „Judenfrage“ und äußerte sich dabei auch abfällig über das Alte Testament. Dazu nahm der Pfarrer in seiner nächsten Predigt Stellung: „Lasst euch in Zukunft nicht mehr derartig moralisch ohrfeigen und auch nicht in euren Gefühlen verletzen. Die ganze Heilige Schrift ist Gottes Wort, auch das Alte Testament.“ Sofort wurde er von der Gestapo vernommen. Im Verhör soll er gesagt haben: „Was geht es mich an, was der Staat über die Juden denkt?“ Der Regierungspräsident entzieht ihm daraufhin die Genehmigung, Religionsunterricht an den Schulen zu erteilen.

Zum endgültigen Verhängnis wurde Fritz Dinstühler, dass er seine Gemeinde nicht im Stich lassen wollte, als der Ort Ende 1944 im Krieg evakuiert wurde. Für die zurückgebliebenen Bergleute hielt er weiter Gottesdienste im Keller des Pfarrhauses. Das erzählte er einem seiner Amtsbrüder, mit dem er schon im Studium befreundet war. Noch am gleichen Tag zeigte der ihn bei der Gestapo an. Am 18. Dezember 1944 wurde Dinstühler verhaftet und starb wenige Monate später – vermutlich im Außenlager Ohrdruf des Konzentrationslagers Buchenwald.

Über den genauen Todestag und -ort geben auch die ITS-Dokumente keinen sicheren Aufschluss. Aber seine Häftlingsunterlagen zeigen einen harten, von Krankheit gezeichneten Weg durch das Lagersystem. „Mein Onkel war sehr dick und körperliche Arbeit gar nicht gewohnt. Außerdem hatte er schon Operationen hinter sich“, erzählt seine Nichte. Auf einem Krankenbogen vom Konzentrationslager Buchenwald wird jedoch am 17. Januar 1945 vermerkt, dass er bei 1,68 Körpergröße 70 Kilogramm wiegt – nur vier Wochen nach seiner Verhaftung. Die Lagerverwaltung vermerkt dort auch akribisch seine Krankengeschichte mit Herzfehler, Leistenbruchoperation und anderen Leiden. Trotzdem befindet man ihn für arbeitsfähig: Laut einer Transportliste kam er nur eine Woche später ins Außenlager Ohrdruf, wo die Häftlinge in einem Stollen Schwerstarbeit leisten mussten.

Zuletzt taucht Dinstühlers Name auf einer Liste von nicht arbeitsfähigen Häftlingen auf, die am 13. März 1945 ins Vernichtungslager Bergen-Belsen transportiert werden sollten. Vermutlich blieb ihm das erspart: „Ein Augenzeuge hat meiner Familie nach dem Krieg berichtet, dass Onkel Fritz schon in Ohrdruf ‚verendet‘ sei“, sagt seine Nichte. Als sie seine letzten Unterschriften auf den KZ-Dokumenten erkennt, treten ihr die Tränen in die Augen.

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