„Wien, dann Übersee“
Ein Leben in Österreich konnte sich Marko Feingold nach den Jahren der Verfolgung und der Ermordung seiner ganzen Familie nicht vorstellen. Das zeigen seine Akten in den Arolsen Archives. Doch es kam anders. Er verbrachte sein restliches Leben in Salzburg und war der bislang älteste Holocaust-Überlebende Österreichs, bevor er im September 2019 mit 106 Jahren starb.
Marko Feingold wurde am 28. Mai 1913 in Neusohl in der heutigen Slowakei geboren, damals gehörte das Gebiet zu Österreich-Ungarn. Zusammen mit seinen drei Geschwistern wuchs er in Wien auf. 1938 verhaftete ihn dort die Gestapo. Er floh nach Prag, wurde nach Polen ausgewiesen und kehrte mit falschen Papieren nach Prag zurück. 1939 wurde er erneut festgenommen und schließlich in das KZ Auschwitz deportiert. Über die KZ Neuengamme und Dachau kam er 1941 nach Buchenwald, wo er bis zur Befreiung inhaftiert war. Aus seiner Familie war Marko Feingold der Einzige, der die nationalsozialistische Herrschaft überlebte.
Viele der Unterlagen über Marko Feingold bei den Arolsen Archives zeigen, dass er nach seiner Befreiung eigentlich nicht in Europa bleiben wollte – so auch sein „Fragebogen für Insassen der Konzentrationslager“, den alle Überlebenden noch im Lager ausfüllen mussten. Auf Grundlage dieser Befragung entschied ein militärischer Ausschuss, ob die befreiten Häftlinge offiziell entlassen werden oder (im Fall von Kriegsverbrechen oder NS-Vergangenheit) weiter in Haft bleiben sollten. Marko Feingold wurde am 24. April 1945 offiziell aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen. Auf die letzte Frage im Fragebogen, „Wohin beabsichtigen Sie zu gehen, falls Sie aus der Haft entlassen werden?“ antwortete er: „Wien, dann Übersee.“
Ein Zufall führt nach Salzburg
In Salzburg landete Marko Feingold eher zufällig, denn nach Wien konnte er aufgrund der sowjetischen Besatzung nicht einreisen. In einem Brief an die International Refugee Organization (IRO) vom Januar 1951 berichtete er über seinen Rückweg nach Österreich:
»Die österreichischen Häftlinge wurden in Begleitung amerikanischer Offiziere nach Wien geschickt. Nachdem die Russen uns an der Demarkationslinie an der Weiterreise hinderten, brachte uns die amerikanische Begleitung nach Salzburg.«
Marko Feingold
Zwischen 1945 und 1948 half Marko Feingold in Salzburg jüdischen Überlebenden, die in Displaced-Persons-Lagern lebten. Gleichzeitig gründete er ein erfolgreiches Modegeschäft. Mit der Flüchtlingsorganisation Bricha organisierte er außerdem die – illegale – Durchreise zahlreicher Juden aus Mittel- und Osteuropa nach Palästina. Zwei Jahre nach seiner Befreiung heiratete er die Österreicherin Elisabeth Hackelbauer. Auch diese Phase seines Lebens ist in seinen Nachkriegsakten außergewöhnlich gut dokumentiert: die vorherige Scheidung Elisabeths ihre Hochzeit 1947. Alle Urkunden kamen in seine Akte bei der IRO, die heute in Bad Arolsen aufbewahrt wird.
Kampf für die Ausreise
Gemeinsam mit seiner Frau beantragte Marko Feingold im Jahr 1948 Unterstützung für ihre Auswanderung. Die wurde ihnen auch gewährt, aber aus ungeklärten Gründen verlor Marko Feingold wieder seinen Status als „Eligible Displaced Person“, mit dem man das Recht auf Einreise in die USA bekam. Die Arolsen Archives bewahren einen Brief auf, den er daraufhin an die IRO schrieb, um Widerspruch einzulegen und seinen Status wiederzuerlangen. Darin schilderte er, wie schwer es ihm fiel, nach der jahrelangen Verfolgung und Inhaftierung in Österreich Fuß zu fassen:
»Ich versuchte zu vergessen und begann mir eine Existenz aufzubauen… Im Laufe der Zeit wurde mir das Leben hier zur Hölle und ich bin nicht mehr imstande, in dem Land weiter zu leben, wo ich alles verloren habe. Es geht sogar so weit, dass ich meine Existenz bereit bin zu opfern, um nur von hier wegzukommen.«
Marko Feingold
Nach sehr langer Bearbeitungszeit bekam Marko Feingold den Status im Jahr 1951 zurück. Seine Auswanderungspläne verwirklichte er aber nie. Schließlich gelang es ihm, ein erfülltes Leben in Österreich zu führen. Dabei setzte er sich weiter für die Belange der Juden und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ein. 1979 wurde Feingold Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg und behielt dieses Amt bis zu seinem Tod. Außerdem war er als engagierter Zeitzeuge an Schulen tätig. Dafür erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und auch den Titel „Hofrat“. Am 19. September 2019 starb Marko Feingold mit 106 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.