Es könnte eine ganz alltägliche Szene sein: Drei Frauen aus drei Generationen sitzen in einem Einkaufscenter. Sie sprechen über ihre Familie, über Erinnerungen, sie lachen viel. Doch für die drei ist diese Begegnung alles andere als normal, denn sie haben sich erst kurz zuvor gefunden. Es ist der erste Besuch von Mirjam aus Deutschland bei ihrer „neuen“ Familie in Tel Aviv.

„Wir konnten alle nur schmunzeln über unsere äußerliche Ähnlichkeit“, erinnert sich Mirjam an ihre Ankunft am Flughafen in Tel Aviv. Auf einmal waren da Verwandte mit denselben Gesichtszügen, demselben Gang, demselben Lächeln. Dabei wusste die Familie lange Zeit gar nichts voneinander. Mirjams Großvater Abraham hatte nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Dachau in Deutschland eine Frau und eine Tochter, wanderte jedoch bereits kurze Zeit später ohne sie nach Israel aus. Dort verlor sich seine Spur. Mirjam wollte mehr über sein Schicksal erfahren und bat den International Tracing Service (ITS) um Hilfe bei der Suche nach Antworten. Die Recherchen ergaben, dass ihr Großvater als polnischer Jude erst das von den deutschen Besatzern errichtete Ghetto Litzmannstadt (im heutigen Lodz, Polen), dann die KZ Auschwitz und Dachau überlebt hatte. Im Außenlager Allach befreiten ihn Alliierte der US-Armee. Er starb über 60 Jahre später im Jahr 2007 in Israel.

Eine israelische Hilfsorganisation unterstützte den ITS bei der Suche und fand schnell heraus, dass Mirjams Großvater in Israel einen Sohn und eine weitere Tochter hatte. „Es war eine riesige Überraschung für mich!“, so beschreibt Yaffa den Moment, als sie von ihren Verwandten in Deutschland erfuhr. „Willkommen in der Familie! Das war das Erste, was ich dachte!” Yaffa nahm sofort Kontakt auf, und zu Mirjams großer Freude entwickelte sich aus ersten Telefongesprächen ein regelmäßiger Austausch. Im Jahr darauf kamen Yaffa und einige Familienmitglieder nach Deutschland. Auch Mirjams Kinder, Schwester und ihre Mutter nahmen an diesem besonderen Familientreffen teil. „Die Zeit war gefüllt mit dem Austausch von Erinnerungen und Erzählungen. Wir waren alle überrascht über die Vertrautheit, die sich so schnell entwickelt hat. Es war extrem berührend und beeindruckend!“, erzählt Mirjam. Im Februar 2019 reiste sie dann selbst zusammen mit ihren Kindern nach Tel Aviv, wo sie weitere Verwandte kennenlernen konnten. Für sie alle war es eine „bereichernde und beglückende Reise“, die sie auch an das Grab ihres Großvaters führte. Auch für Yaffa war die Zeit etwas ganz Besonderes: „Ich habe nur einen Bruder, aber nicht viele Cousinen und Cousins, denn die sind alle während des Holocaust umgekommen. Es ist toll, dass wir nun eine große Familie haben“, freut sich Yaffa. Und weitere Treffen der Familie sind bereits geplant. In den Sommerferien möchte Mirjams Tochter zu ihrer „neuen“ und bereits ins Herz geschlossenen Cousine nach Tel Aviv reisen. „Für mich ist es immer noch sehr aufregend und besonders“, beschreibt Mirjam die Familienzusammenführung. „Und die Geschichte geht in die Fortsetzung! Dem ITS noch einmal sehr herzlichen Dank für seine Recherchen und seine Arbeit!“

Über 70 Jahre nach Kriegsende fürchten Menschen mit jüdischen Wurzeln in Deutschland wieder Repressionen. So auch Mirjam, die in einem Ort mit einer aktiven rechtsradikalen Szene wohnt. Zum Schutz ihrer Kinder ist es ihr Wunsch, dass wir nur ihren Vornamen nennen. Dies ist nur ein Signal von vielen, wie stark Antisemitismus sich ausgebreitet hat. Es ist ein alarmierendes Signal!

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