Ein Ring und seine Geschichte
Thorvald Michelsen war 28 Jahre alt, als die Gestapo im Oktober 1943 das Haus seiner Familie in Trondheim stürmte, um ihn zu verhaften. Thorvald, seine Frau Gunvor und ihr einjähriger Sohn Bjørn wohnten oben im ersten Stock. Unten lebten Thorvalds Eltern mit Tore, seinem Neffen. 77 Jahre später trifft die norwegische Journalistin Gøril Grov Sørdal Tore und die drei Kinder von Thorvald an diesem Haus wieder.
Von links nach rechts: Thorvalds Kinder Toril, Rolf und Bjørn, ihr Cousin Tore und die Journalistin Gøril.
Hier erzählt Tore seine Erinnerungen an Thorvalds Verhaftung. Er selbst war damals sechs Jahre alt: "Ich saß gerade mit meinem Großvater beim Frühstück, als die Gestapo-Männer durchs Haus liefen und die Treppe hochstürmten, um Onkel Thorvald zu holen." Die Gestapo fand im Haus auch einen Freund von Thorvald aus dem Widerstand, Kolbjørn Wiggen, der sich dort versteckt hatte. Wiggen und acht weitere Widerstandskämpfer wurden einen Monat später hingerichtet. Thorvald und einige andere wurden deportiert, um in Deutschland Zwangsarbeit zu leisten.
Den Ehering musste er abgeben
Thorvald hatte im Widerstand unter anderem eine Untergrundzeitung verteilt. "Als die Gestapo das Haus verlassen hatte, rannte meine Großmutter nach oben, sammelte alles ein, was ihn hätten belasten können, versteckte die Papiere unter ihrer Kleidung und verließ das Haus, um sie loszuwerden", erzählt Tore.
Mit rund 60 anderen Norwegern kam Thorvald ins KZ Natzweiler, in dem viele Skandinavier festgehalten wurden. Er war dort fast ein Jahr lang inhaftiert und musste in einem Steinbruch arbeiten. Bei der Einlieferung musste Thorvald seinen Ehering abgeben, in den der Name seiner Frau eingraviert war. Die Arolsen Archives bewahrten ihn bis vor kurzem auf.
Befreit vom Roten Kreuz
Im September 1944 kam Thorvald ins KZ Dachau. Dort wurde er im Frühjahr 1945 mit anderen skandinavischen Häftlingen im Rahmen der Rettungsaktion der "Weißen Busse" vom schwedischen Roten Kreuz befreit.
Sie kamen zunächst mit Häftlingen aus vielen anderen Konzentrationslagern in das eigens für dänische und norwegische Staatsbürger eingerichtetes Sammellager im KZ Neuengamme beim Hamburg. Thorvald wurde von dort über Dänemark nach Schweden in ein Sanatorium gebracht, wo er sich erholen konnte. Am 27. Mai 1945 kehrte er mit dem Zug in seine Heimat zurück.
Seine Häftlingsnummern aus den drei Konzentrationslagern hat er in ein Album geklebt und aufbewahrt (Foto links).
Der alte und der neue Ring
Thorvald und Gunvor lebten weiter in Trondheim, wo Thorvald auch politisch in der norwegischen Arbeiterpartei aktiv war. Ihre Tochter Toril kam ein Jahr nach seiner Rückkehr zur Welt, der jüngste Sohn Rolf wurde 1952 geboren. Gunvor starb 1992. Thorvald wurde noch 93 Jahre alt und starb im Jahr 2008.
Seinen Ehering hatte Thorvald sich nach seiner Rückkehr aus Deutschland nachmachen lassen. Niemand vermutete, dass das Original noch existieren würde.
Bei der Übergabe des "alten neuen" Rings mit Gøril zeigen die drei Geschwister viele Fotos und Erinnerungen an ihre Eltern. Sie erzählen auch, was sie später über die Verhaftung ihres Vaters und seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern erfahren haben. Das war zunächst einmal wenig.
Er erzählt seine Geschichte erst 40 Jahre später
"Unser Vater sprach lange Zeit fast gar nicht über die Haft in Deutschland", sagt sein ältester Sohn Bjørn. Erst nachdem sein Mithäftling und Bekannter Trygve Bratteli - in den 70er Jahren Norwegens Premierminister - 1980 den Bestseller Gefangener in Nacht und Nebel über seine Zeit als Häftling veröffentlicht hatte, erzählte auch Thorvald mehr über seine Erfahrungen.
Er beschrieb nicht nur seinen Kindern, was die Erlebnisse im Konzentrationslager für ihn bedeuteten, sondern gab sogar einige Interviews - so wie auch viele andere der früheren Häftlinge aus Norwegen zu dieser Zeit. In einem davon erzählte er von einer Szene im KZ Natzweiler, die auch der norwegische Illustrator Rudolf Næss, ein Mithäftling, in einer Zeichnung sehr eindrucksvoll festgehalten hat:
"Am 26. Dezember wurden bei der Rückkehr aus dem Steinbruch zwei Gefangene vermisst. Sie wurden schnell gefunden, verprügelt und gehängt. Der Galgen war von überall im Lager sichtbar, und wir mussten alle an den beiden Männern vorbeimarschieren und sie ansehen. Sie waren wie Wachspuppen, es war kaum zu glauben, dass sie jemals am Leben waren."
Thovald konnte sich noch an viele Details erinnern. Er erklärte im gleichen Interview, warum es ihm jetzt leichter fällt, über den Krieg zu sprechen und was ihm dabei wichtig ist: "Die jungen Menschen müssen erfahren, was passiert ist. Unsere Demokratie ist zu wertvoll, um sie zu verlieren. Wir müssen weiter kämpfen, damit sie uns erhalten bleibt."