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Selma und Simon Katz mit ihren Töchtern. Foto: USHMM

Zur Ausreise gezwungen

Das Schicksal der Familie Simon

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Hinweiskarte der Arolsen Archives zu Karl Simons Verhaftung und Entlassung.
Foto: Collection Spaarnestad Photo

Die Verfolgung beginnt 1938

Selma Simon-Katz wurde 1894 in Bad Arolsen geboren. Sie lebte mit ihrem Mann Karl, einem wohlhabenden Viehhändler, und ihren vier Töchtern in Cloppenburg, als das NS-Regime den Terror gegen Juden immer weiter verschärfte. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 verhafteten die Nationalsozialisten etwa 30.000 jüdische Männer, darunter auch Karl Simon.

Entlassung gegen Emigration

Die offiziellen Gründe für solche Verhaftungen im Nachgang des gewalttägigen Pogroms gegen die jüdische Bevölkerung hießen „Schutzhaft“ und „Wiederherstellung der Ordnung“. Tatsächlich waren es aber meist wohlhabende Juden, die inhaftiert wurden. Die Nationalsozialisten wollten sie zur Auswanderung zu zwingen, um ihr Eigentum dem Staat zu übereignen. Karl Simon kam ins KZ Sachsenhausen. Wie viele andere musste auch er seine Emigration aus Deutschland garantieren, um freizukommen.

Ausreise mit der St. Louis

Nach Karls Entlassung versuchte die Familie, möglichst schnell der NS-Verfolgung zu entkommen. Selma hatte noch während der Haftzeit ihres Mannes zwei ihrer Töchter mit einem Kindertransport nach England geschickt. Der Rest der Familie ging schließlich im Mai 1939 in Hamburg an Bord des Passagierschiffes St. Louis.

Ilse und Edith Simon an Bord der St. Louis, ©USHMM
Ilse und Edith Simon an Bord der St. Louis. Foto: USHMM

Die St. Louis sollte sie in die Freiheit bringen

Das Ziel der Familie Simon: ein neues Leben auf Kuba, vielleicht von dort eine Ausreise in die USA. Sie hatten das gleiche Ziel und ähnliche Schicksale wie die anderen Menschen auf der St. Louis. Sämtliche der über 950 Passagiere waren NS-Verfolgte. Sie alle hatten Einreisebewilligungen bei sich, die von der kubanischen Einwanderungsbehörde für sie ausgestellt worden waren. Etliche Kinder waren mit an Bord.

Karl und Selma Simon an Bord der St. Louis. Auf dem Weg Richtung Kuba sind die meisten Passagieren entspannt: Sie freuen sich auf ein neues Leben in Freiheit. ©USHMM
Karl und Selma Simon (Bildmitte) an Bord der St. Louis. Foto: USHMM
Nach einer einwöchigen Reise kam die St. Louis mit mehr als 900 jüdischen Flüchtlingen im Hafen von Antwerpen an. Zwei Kinder schauen mit bedrückten Gesichtern durch das Bullauge des Schiffes zur Entladung im Hafen. © Collection Spaarnestad Photo
Zwei Kinder schauen mit bedrückten Gesichtern durch das Bullauge des Schiffes zur Entladung im Hafen. Foto: Collection Spaarnestad Photo

Freude über die gelungene Ausreise

Auf dem Weg Richtung Kuba sind die meisten Passagiere entspannt: Sie freuen sich auf ein neues Leben in Freiheit. Einige von ihnen waren nach der Reichspogromnacht bereits in Konzentrationslagern inhaftiert gewesen. Für ihre Entlassung hatten viele der Menschen, genau wie Karl Simon, noch in der Haft unterschrieben, dass sie Deutschland verlassen würden. Alle Passagiere auf der St. Louis mussten den Großteil ihres Besitzes zurücklassen und durften nur 10 Reichsmark mit auf die Reise nehmen.

Es kam ganz anders

Doch ihre Reise nahm einen unerwarteten Verlauf: In Kuba angekommen verweigerte man den Emigranten die Einreise. Die kubanische Regierung hatte kurz zuvor die Bestimmungen für Einwanderer geändert. Nur 29 Menschen durften in Havanna von Bord des Schiffes gehen. Die Versuche des deutschen Kapitäns Gustav Schröder, seine Passagiere in den USA oder in Kanada einreisen zu lassen, scheiterten. Die dortigen Regierungen lehnten die Flüchtlinge ebenfalls ab.

Ein Todesurteil für viele der Flüchtlinge

Im Juni 1939 nahm die St. Louis schließlich wieder Kurs auf Europa. Nach tagelanger Irrfahrt durfte das Schiff schließlich im belgischen Antwerpen einlaufen. Eine Rückkehr in ihre deutsche Heimat war für die so gestrandeten Menschen keine Option. Sie hatten die Radikalisierung unter den Nationalsozialisten erlebt und mussten eine erneute KZ-Haft fürchten. Die Passagiere wurden von den Regierungen der Niederlande, Frankreichs, Belgiens und Englands aufgenommen. Für einen Teil von ihnen wurde diese vermeintliche Rettung aber zu einem tragischen Todesurteil.

Foto: Gedenkstätte Westerbork

Internierung im Durchgangslager Westerbork

Die Simons gingen in die Niederlande und lebten in den nächsten drei Jahren in Arnhem. In Sicherheit vor dem NS-Regime waren sie auch dort nicht – vor allem nach der deutschen Besatzung der Niederlande am 15. Mai 1940. Ab 1942 begannen die Deportationen von Jüdinnen und Juden aus den Niederlanden in die deutschen Vernichtungslager. Als zentrale Sammelstelle diente das ehemalige Flüchtlingslager Westerbork, das nun unter deutscher Verwaltung stand. Hier wurde die Familie Simon mit anderen Menschen interniert, die zuvor aus Deutschland oder Österreich geflohen waren. Die älteste Tochter, Edith, schaffte kurz zuvor noch die Ausreise nach England. 

Transport ins Vernichtungslager Sobibor

Am 18. Mai 1943 deportierten die Nationalsozialisten Selma und Karl Simon und ihre 14-jährige Tochter Ilse ins Vernichtungslager Sobibor im Osten Polens. Dort wurden sie drei Tage später, direkt nach ihrer Ankunft, ermordet – so wie die meisten der insgesamt 33.000 Menschen allein aus den Niederlanden, die hierher verschleppt wurden. Insgesamt töteten die Nationalsozialisten in Sobibor von 1942 bis 1943 zwischen 150.000 bis 250.000 Menschen.

Kaum jemand überlebte

Im Oktober 1943 organisierte eine Gruppe von Häftlingen einen Aufstand: Es gelang ihnen, einige SS-Männer zu töten, darunter auch den stellvertretenden Lagerkommandanten Johann Niemann, und die Telefonverbindungen zu kappen. Auf der Flucht vor den restlichen Wachmännern starben viele im Minenfeld, das die SS rund um das Lager angelegt hatte, oder wurden erschossen. Nur etwa 200 Häftlinge retteten sich in den angrenzenden Wald. Die im Lager zurückgebliebenen Häftlinge wurden ermordet.

Nur wenige Zeugnisse über Sobibor

Nach dem Aufstand wurde das Lager von den Nazis zerstört und sämtliche Unterlagen vernichtet. Genaue Zahlen über die Opfer lassen sich nicht mehr feststellen. Seit Januar 2020 sind Bilder aus einem Fotoalbum des Lagerleiters öffentlich zugänglich, sie kamen nach der Auflösung des Lagers in den Privatbesitz seiner Familie. Zu den wichtigsten Zeugnissen gehören Aussagen der wenigen Überlebenden – zum Beispiel Jules Schelvis, der 2004 die Arolsen Archives besuchte und sein Buch vorstellte, in dem er seine Erlebnisse in Sobibor verarbeitet hatte.