Die Inhaftierungsunterlagen sind Originaldokumente und Reproduktionen, die von den Nazis zur Verwaltung der Deportierten angefertigt wurden. Heute helfen sie bei der Dokumentation von Schicksalen und ermöglichen, individuelle Verfolgungswege aufzuarbeiten. Sie verdeutlichen eindrücklich das Ausmaß der Verschleppung und Deportation von Menschen durch das nationalsozialistische Regime.

Die Sammlung wurde in zwei Teilen angelegt und lässt sich unterscheiden in Dokumente, die aus dem Lagersystem der Konzentrationslager stammen und Dokumente, die von polizeilichen Verfolgungsstellen wie der Gestapo stammen. Dokumente, die einen direkten Bezug auf ein bestimmtes Konzentrations-, Durchgangs-, Arbeitslager oder Ghetto haben und der Lagerverwaltung dienten, gehören zum ersten Teil der Sammlung. Im Konzentrationslager Buchenwald wurden beispielsweise Häftlinge, die aus anderen Lagern dorthin gebracht wurden, akribisch namentlich, mit Häftlingsnummern, Inhaftierungsgrund sowie mit dem Datum der Ankunft in Buchenwald erfasst. Unterlagen dieser Art dienten der Organisation der Inhaftierten in Buchenwald und finden sich in ähnlicher Form auch für andere Lager.

Einblicke in die Lagerrealität

Der zweite Teil der Sammlung besteht aus Verfolgungsunterlagen der Gestapo, von Gefängnissen oder von anderen Organisationen. Diese Inhaftierungsdokumente sind eine der größten Dokumentengruppen der Arolsen Archives. Sie ermöglichen in vielen Fällen eine Rekonstruktion von Verfolgungswegen und gewähren kritische Einblicke in die Realität in den Lagern. Beispielsweise finden sich in der Sammlung Aufzeichnungen über die Verwaltung der von Häftlingen mitgebrachten Kleidung und ihrer persönlichen Gegenstände (sogenannte Effekten), zum Arbeitseinsatz, zur ihren Bestrafungen innerhalb des Lagers, zur medizinischen Behandlung und schließlich zum Tod oder Überleben von Häftlingen.

Arbeitseinsatzkarten, wie hier links abgebildet, führten die Nationalsozialisten im KZ Buchenwald. Sie dokumentierten, in welchem Arbeitskommando ein Häftling eingesetzt war beziehungsweise in welchem Außenlager er oder sie arbeitete. Mit Effektenkarten (unten) wurden die persönlichen Gegenstände verwaltet, die die Häftlinge bei ihrer Ankunft im KZ abgeben mussten.

Wie wurde die Sammlung angelegt?

Am Ende des Krieges wurden die in den Konzentrationslagern noch erhaltenen Verwaltungsunterlagen von der International Refugee Organization (IRO) zentral gesammelt. Die IRO wollte damit als Such- und Anlaufstelle für Angehörige von Opfern des Nationalsozialismus Auskunft über ehemals Inhaftierte geben. Die Dokumente sind daher nach unterschiedlichen Lagertypen wie Durchgangs-, Arbeits-, oder Konzentrationslager und nach Regionen geordnet. Ghettos bilden eine weitere Gruppe. Schließlich sind sie weiter untergliedert in allgemeine Unterlagen wie Korrespondenzen zum Lager oder Ghetto, Listenmaterial und individuellen Unterlagen. Innerhalb dieser Untergruppen sind die Dokumente chronologisch sortiert.

Historisches Bild eines Mitarbeiters im früheren Archiv der Arolsen Archives.

Die individuellen Dokumente beziehen sich auf einzelne Personen und wurden bei der Inhaftierung vom Lagerpersonal für Verwaltungszwecke angelegt. Zu den personenbezogenen Unterlagen gehören Häftlingspersonalkarten, Arbeitseinsatzkarten oder Fragebögen. Das Listenmaterial ist ein weiterer großer und sehr aufschlussreicher Bestand: Hier wurde dokumentiert, welcher Häftling an welchem Datum in welches Arbeitslager oder Außenlager transportiert wurde. Es beinhaltet u.a. Zugangs-, Transport- und Verstorbenen-Listen, sowie Meldungen über Geflüchtete.

Ein Schicksal in Dokumenten: Chaja Bengen

Die Verfolgungsgeschichte der polnischen Jüdin Chaja Bengen begann, als sie mit 19 Jahren von der Sicherheitspolizei verhaftet wurde. Die Unterlagen des KZ Buchenwald zeigen, dass Chaja zuerst im Rigaer Ghetto interniert wurde. Es wurde ein Jahr später aufgelöst und die Sicherheitspolizei brachte die Internierten in das KZ Stutthof. Chaja gehörte zu den Letzten, die das Ghetto lebend verließen. Bereits einen Monat später steht sie auf einer Überstellungsliste für einen Transport von 300 weiblichen Häftlingen zum Arbeitskommando Magdeburg, einem Außenlager des KZ Buchenwald. Hier wurde Chaja als Schneiderin zur Zwangsarbeit eingesetzt.

Auf den Häftlings-Personal-Karten, wie sie in allen Hauptlagern für KZ-Häftlinge angelegt wurden, notierten die Häftlingsschreiber*innen die wichtigsten biografischen Informationen zu einer Person.

Diese Fragebogen erstellten Häftlingsschreiber*innen für Neuankömmlinge im KZ. 

Auf diesen Nummernkarten für die weiblichen Häftlinge in den Außenlagern des KZ Buchenwald gaben die Nationalsozialisten an, in welchen Außenlagern die Frauen arbeiten mussten beziehungsweise in welche anderen Lager sie überstellt wurden.

Beim Lesen und Verstehen dieser Dokumente ist unbedingt zu berücksichtigen, dass sie von nationalsozialistischen Täter*innen und an Verschleppung, Ausbeutung und Mord beteiligten Institutionen produziert wurden. Sie beinhalten stereotypische Zuschreibungen, die an der Logik der Verfolgung ausgerichtet sind. Viele Angaben wirken verharmlosend und müssen in ihrem Entstehungskontext gelesen werden. Unser e-Guide hilft dabei, den Aufbau der Dokumente, ihre Verwendung und den Kontext besser zu verstehen.

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