Aufbruch in eine neue Welt: Die Emigration der Displaced Persons

Bei unserer Crowdsourcing-Initiative #everynamecounts digitalisieren die Freiwilligen derzeit eine ganz besondere Sammlung: Die Bremer „Auswandererkartei“ dokumentiert die Ausreise von Displaced Persons (DPs) und anderen Menschen, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen wollten. Mit den Informationen aus diesen Dokumenten lassen sich individuelle Schicksale und Wege in die weltweite Emigration nachverfolgen. Dank #everynamecounts sind sie demnächst online und für alle recherchierbar.

Ungefähr elf Millionen so genannte Displaced Persons befanden sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland: Befreite KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangene – kurzum, Millionen Menschen, die wegen der nationalsozialistischen Verfolgung und Verschleppung nicht mehr in ihrem Heimatland waren. Ihr Gesundheits- und Ernährungszustand war oft sehr schlecht. Die Alliierten und internationale Hilfsorganisationen wie die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) bemühten sich nach Kräften, den DPs zu helfen und sie zurück in ihre Heimat zu bringen.

 

Ankunft von DPs in Bozen, August 1945: Für Millionen der verschleppten NS-Opfer wurde der Traum von der Rückkehr in die Heimat schon bald nach ihrer Befreiung wahr.

 

Viele DPs wollten nicht zurück in ihre Heimat

Schon im Februar 1945 hatten die Alliierten eine Rückführung aller DPs in ihre ursprünglichen Heimatländer als gemeinsames Ziel festgelegt. Bis Ende 1945 gelang es ihnen auch recht zügig, sechs Millionen DPs zu repatriieren. Doch dann geriet die Rückführung ins Stocken. Immer weniger Menschen wollten zurück nach Mittel- und Osteuropa – weil sie nicht im Kommunismus leben wollten, weil es ihre Heimat so nicht mehr gab oder sie dort weitere Verfolgung fürchten mussten. Zusätzlich kamen Menschen aus Ländern wie Ungarn, Polen oder dem Baltikum nach Westeuropa, die aus politischen Gründen aus dem Machtbereich der Sowjetunion geflohen waren.

 

Für die Verschleppten aus Osteuropa, über die es in unserem Archiv Millionen Dokumente gibt, konnte eine Rückkehr in die Heimat gefährlich sein. Foto: Arolsen Archives

 

Sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen standen unter dem Generalverdacht, mit den Deutschen kollaboriert zu haben. Sie wurden oft unter Zwang repatriiert und mussten in ihrer Heimat mit Repressalien oder Verhaftungen rechnen. Viele dieser Menschen verschwanden nach ihrer Rückkehr spurlos. Oder sie wurden inhaftiert und mussten nun in der Sowjetunion wieder Zwangsarbeit leisten. Zudem gab es ab 1946 eine neue Gruppe DPs: Zehntausende Jüdinnen und Juden waren vor den anhaltenden Pogromen in Osteuropa nach Westen geflohen.

» The great difficulty is that so many of these persons have no homes to which they may return. The immensity of the problem of displaced persons and refugees is almost beyond comprehension. «

US-Präsident Harry S. Truman, Dezember 1945

Versorgung und „Resettlement“ der DPs – eine Herkulesaufgabe

Im Gegensatz zur Sowjetunion, die den Status „DP“ gar nicht anerkannte, in ihrer Besatzungszone keine Versorgung für die Menschen einrichtete und auf der Repatriierung aller NS-Verschleppten bestand, schlugen die Westalliierten einen anderen Weg ein. Im Februar 1946 legte eine UN-Resolution fest, dass Rückführungen freiwillig sein müssen. Stattdessen sollten auch dauerhafte Umsiedelungen (Resettlements) möglich sein. Die eigens gegründete International Refugee Organization (IRO) richtete für die DPs ein umfangreiches Hilfsprogramm ein und vermittelte Länder, die bereit waren, sie als Einwanderer aufzunehmen.

Jüdische DPs vor dem Eingang des „Palestine Transit Camp“ im westfälischen Bocholt. Foto: USHMM / Betty Gurfein Berliner
Mathematikunterricht in der Volksschule im DP-Camp Zeilsheim. Foto: USHMM / Alice Lev

Die DP-Camps

Bis zu ihrer Ausreise lebten die Menschen in DP-Lagern. Dazu nutzte die IRO unter anderem Kasernen der Wehrmacht oder der SS, ehemalige Arbeitslager oder Teilbereiche früherer KZs. Hier gab es neben Unterbringung, Essen und Gesundheitsdiensten auch Schulen für Kinder und Umschulungskurse für Erwachsene. Die Menschen waren nach Nationalitäten auf die Lager verteilt. Es gab separate jüdische DP-Camps, um Jüdinnen und Juden vor dem stark verbreiteten Antisemitismus zu schützen.

Hunderttausende wanderten aus

Der damalige US-Präsident Harry Truman setzte sich besonders für die Aufnahme von DPs ein und ermöglichte insbesondere ab 1948 mit dem „Displaced Persons Act“ die Emigration von Hunderttausenden Menschen in die USA. Für die jüdischen DPs war Israel das wichtigste Ausreiseland. Aber auch Kanada, Australien und die südamerikanischen Länder waren unter den emigrierenden DPs sehr beliebt. In den DP-Camps erhielten sie von der IRO Unterstützung bei den Ausreiseformalitäten sowie Vorbereitungs- und Sprachkurse für das jeweilige Zielland.

 

1.800 DP-Camps von 1945 – 1951
3.500.000 Menschen lebten 1946 noch in DP-Camps
720.000 Displaced Persons emigrierten nach USA

Vorbereitung auf die Emigration

Einer der wichtigsten Ausreiseorte war Bremerhaven. Die letzten Wochen vor der Emigration verbrachten die Menschen in Sammellagern in Bremen wie dem Camp Grohn, in dem dieser Film (Courtesy: USHMM / Julien Bryan) entstand: eine Englisch-Unterrichtsstunde für DPs.

Auch die Dokumente in der aktuellen #everynamecounts-Challenge stammen aus Bremen. In der dortigen „Emigrant Staging Area“ legte die IRO ab 1946 Karteikarten zu allen ausreisenden DPs an. Insgesamt waren es über eine halbe Million Karten.  Die Arolsen Archives haben nun dazu aufgerufen, in einem ersten Schritt 30.000 dieser Dokumente für das weltgrößte digitale Denkmal zu den NS-Opfern zu digitalisieren. Jede*r kann ganz einfach online mitmachen und sich mit über 100.000  weiteren Freiwilligen einsetzen für Respekt, Vielfalt und Demokratie!

Zu everynamecounts

Józef Żyłka

…war 1952 einer der letzten Überlebenden, die in die USA auswanderten. Die Nazis hatten ihn 1940 aus Polen zur Zwangsarbeit verschleppt. Nach dem Krieg gehörte er zu den mehr als 500 DPs, die den International Tracing Service (heute Arolsen Archives) mit aufgebaut haben. Auf dem Foto sieht man ihn mit seiner Familie kurz vor der Abreise – mit dem US-Schiff „General Ballou“, wie seine Ausreise-Karteikarte zeigt.

„Schiff in die Freiheit”

Die meisten DPs reisten mit dem Schiff aus; wie in diesem Film (Courtesy: USHMM / Julien Bryan) vom Oktober 1948: Über 800 Menschen aus elf Nationen gehen an Bord der General W. M. Black nach New York.

 

Das Ende der DP-Emigrationen

1951 übertrugen die Alliierten die Zuständigkeit für die verbliebenen DPs an die Bundesrepublik, die diese Menschen fortan – durchaus diskriminierend – als „heimatlose Ausländer“ klassifizierte. Die IRO forderte, für die ehemaligen DPs die Bezeichnung „Flüchtlinge unter der Protektion der UN“ zu nutzen, was die deutsche Regierung zurückwies. Am 31. Januar 1952 stellte die IRO ihre Arbeit ein. In Bremen diente das Camp Lesum – nun unter dem Namen Bremer Überseeheim – weiter als „Auswanderer-Verschiffungslager“ für individuell Ausreisende, die nicht im Rahmen der IRO-Programme emigrierten. Das waren neben DPs auch etliche andere Ausreisewillige aus ganz Europa, die ihre Emigration selbst finanzierten.

» I stopped being a DP the day I obtained my American Citizenship. I am blessed with a wonderful life due to the strength and courage of my parents. I share my story with my children and grandchildren. I want them to know I was a displaced person. They need to know what that means, how it happened and how we survived. «

Barbara Garason kam in einem DP-Camp zur Welt und emigrierte 1949 mit ihren Eltern (Foto )
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