Einer Freiwilligengruppe eines Gymnasiums in Oświęcim ist es gelungen die Familie von Zygmunt Jakubczyk, einem ehemaligen Häftling des Konzentrationslagers Neuengamme, zu finden. Dies ist bereits der vierte Sucherfolg der Jugendgruppe.

Während des Treffens in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim (IJBS) am 8. September 2021 übergaben die Jugendlichen die persönlichen Gegenstände des 1944 verstorbenen Zygmunt Jakubczyk an seine Angehörigen. Der Enkel von Zygmunts Bruders Sebastian Jakubczyk holte die Erinnerungsstücke, die seit den 1960er Jahren in Bad Arolsen aufbewahrt wurden, in Oświęcim ab.

„Ich war gerade bei der Arbeit – ich habe ein Optikergeschäft – als mich das Finanzamt in Kattowitz anrief. Das erste was ich hörte war: Sie brauchen keine Angst zu haben. Die Frau erzählte mir von meinem Verwandten. Da im Internet aber so viele Fake News kursieren, blieb ich erstmal ruhig. Sie erklärte mir dann, dass sie meine persönlichen Daten nicht an Dritte weitergeben könne, nannte mir aber die Institution, an die ich mich wenden sollte. Zunächst habe ich diese Institution genauer angeschaut und festgestellt, dass es sie tatsächlich gibt und wie sie arbeitet. Danach habe ich direkt meinen Vater angerufen. Und dann öffnete sich ein Tor in meiner Familiengeschichte – es war eine Geschichte, die noch nie zuvor berührt wurde“, erklärt Sebastian Jakubczyk bei der Übergabe.

 

»Mein Großvater Adam war nie bereit gewesen, über den Krieg zu sprechen. Er hatte nie über seinen Bruder oder seine Schwester gesprochen.«

Sebastian Jakubczyk, Großneffe von Zygmunt Jakubczyk

 

Wiederentdeckung der Geschichte

Zygmunt Jakubczyk wurde am 25. Januar 1920 in der Stadt Niwka, heute ein Ortsteil der Stadt Sosnowiec, geboren. Während des Zweiten Weltkriegs deportierten die deutschen Besatzer ihn zur Zwangsarbeit ins Dritte Reich. 1940 war er als Bergmann in der Zeche Walsum, heute ein Stadtteil von Duisburg, eingesetzt.

Am 21. August 1940 wurde er wegen „Arbeitsverweigerung“ zu vier Monaten Gefängnis verurteilt und in einem Gefängnis in Duisburg inhaftiert. Laut den erhaltenen Dokumenten verbrachte er dort jedoch nur acht Tage.

Bei den Nachforschungen von Malgorzata Przybyla von den Arolsen Archives und der Freiwilligengruppe stellte sich heraus, dass auch Zygmunts Geschwister Adam und Leokadia Zwangsarbeit leisten mussten. Die Nazis verschleppten beide nach Ronnenberg bei Hannover.

 

Zygmunta Jakubczyks Uhrensammlung

 

Mysteriöses Schicksal

Nur wenig ist über Zygmunt Jakubczyks Leben zwischen 1940 und 1944 bekannt. Die erhaltene Uhrensammlung lässt die Vermutung zu, dass er möglicherweise Uhrmacher werden wollte. Die jungen Freiwilligen entdeckten einen weiteren Hinweis, der darauf hindeutet: Auf dem Deckel der Schachtel, in der sich dir Uhren befanden, kann man die Inschrift „Juwelier- und Uhrmachergeschäft Josef Sander“ finden.

 

Ein Teil der nun zurückgegebene Uhrensammlung
Schüler*innen beim Gespräch mit Sebastian Jakubczyk

Persönliche Abholung

Sebastian Jakubczyk holte die Erinnerungsstücke an seinen Großonkel Zygmunt Jakubczyk, darunter eine beeindruckende Uhrensammlung, persönlich in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim ab. Die Schüler*innen des Stanisław-Konarski-Gymnasiums in Oświęcim berichteten ihm, wie sie das Leben des Mannes anhand von Dokumenten aus der Arolsen Archives rekonstruieren konnten.

Das Team unter der Leitung von Elżbieta Pasternak von der IJBS hat bereits vier erfolgreiche Recherchen durchgeführt.

 

Im Oktober 1944 überstellte die SS Zygmunt in das KZ Neuengamme, wo er die Häftlingsnummer 58385 erhielt. Zygmunt überlebte nur zwei Monate im Konzentrationslager. Die Nazis zwangen die Häftlinge zu schwerster körperlicher Arbeit und misshandelten sie. Darüber hinaus waren die Versorgungs- und Hygienebedingungen oft katastrophal. Er starb am 17. Dezember 1944 in einem der Außenlager Salzgitter des KZ Neuengamme.

 

Die künftigen Generationen

Die Suche nach Zygmunts Familie wäre ohne die Hilfe der Schülergruppe um Sabina Kwiatkowska, Mateusz Mika, Kinga Paciorek, Maciej Piłat, Zofia Przeworska, Karolina Tarkowska unter der Leitung von Elżbieta Pasternak von der IJBS, Malgorzata Przybyla und Anna Meier-Osiński von den Arolsen Archives sowie Krzysztof Imiolek von der Polnischen Genealogischen Gesellschaft nicht möglich gewesen.

„Die Tatsache, dass Zygmunt Jakubczyk diese Gegenstände angefasst hat, macht sie automatisch zu einer Art kleinem Denkmal. Egal, wie viele Jahre es her ist – wir sprechen jetzt von der dritten Generation – diese persönlichen Gegenstände sind der Familienschatz. Wir sind dankbar, dass Sebastian Jakubczyk diese Gegenstände übernimmt und sie für künftige Generationen aufbewahrt“, erklärt Leszek Szuster, Direktor der IJBS.

Während der Zeremonie berichteten die Schüler*innen des Gymnasiums Oświęcim von ihren Recherchearbeiten und wie es ihnen gelang, die Geschichte des ehemaligen KZ-Häftlings aus Neuengamme zu rekonstruieren.

 

»Geschichte muss man anfassen, man muss sie erleben. Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen machen den Unterricht real.«

Sabina Kwiatkowska, #StolenMemory Freiwillige

 

„Unsere Geschichte entscheidet über alles, was in der Zukunft passiert. Durch die #StolenMemory-Kampagne können wir Lernen auf eine andere Art und Weise erleben. Wir beteiligen uns daran, die Puzzleteile einer Geschichte zusammenzusetzen. Das ist eine unvergessliche Erfahrung für mich“, erklärte die 18-jährige Sabina Kwiatkowska während der Zeremonie.

„Der Moment, in dem wir die persönlichen Gegenstände den Verwandten übergeben, nach denen wir gesucht haben, ist die beste Belohnung. Das ist das Gefühl, für das sich die ganze Arbeit lohnt“, berichtet die 18-jährige Kinga Paciorek.

Die Gruppe hat bereits drei #StolenMemory-Suchfälle erfolgreich gelöst und möchte eigentlich gerne weitermachten. Ein Großteil der Gruppe macht aber kommendes Jahr Abitur und viele von ihnen werden wahrscheinlich wegziehen. Die Anderen wollen die Arbeit fortsetzen und suchen nach jüngeren Schüler*innen, die Arbeit der Gruppe in Zukunft fortführen möchten.

 

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