Dokumente zur Katastrophe in der Lübecker Bucht
Ein Gespräch mit Ramona Bräu, Historikerin bei den Arolsen Archives, über die Dokumente zum Untergang der Cap Arcona.
Welche Dokumente zur Cap Arcona finden sich im Archiv?
Zunächst einmal muss man verstehen, dass eine Vielzahl von Schriftstücken nach dem Krieg entstand, um den Untergang der Cap Arcona und Thielbek aufzuklären. Die Behörden mussten sich mit dem Ungeheuerlichen auseinandersetzen. Leichen mussten geborgen, identifiziert und bestattet werden, noch Jahre später wurden Knochen an Land gespült. Häftlingsnummern auf der Kleidung waren oftmals die einzige Möglichkeit die Identität festzustellen. Natürlich hatten die Verantwortlichen damals noch keinen Zugriff auf so umfangreiche Dokumente aus den Konzentrationslagern, wie sie heute in den Arolsen Archives zu finden sind. Viele Tote blieben Unbekannte.
Im Online-Archiv findet man heute direkt den Bericht der Wasserschutzpolizei Lübeck und Berichte zur Leichenbergung, das Kontobuch der Thielbek oder die Fotos und einen Lageplan von der Cap-Arcona-Ehrenfriedhofsanlage in Neustadt Holstein und vieles mehr. Dazu kamen Dokumente aus dem Konzentrationslager Neuengamme, die aus dem Wrack der Thielbek geborgen wurden. Hinweise, die dabei helfen konnten, Häftlingsnummern zu Namen werden zu lassen.
Das Ende des Konzentrationslagers Neuengamme und das Schicksal der Cap Arcona sind untrennbar miteinander verbunden…
Die Geschichte der Cap Arcona ist beispielhaft für die Endphaseverbrechen der Nazis, die kurz vor Kriegsende versuchten, die Spuren ihrer Verbrechen in den Konzentrationslagern zu verwischen. Häftlinge aus anderen Konzentrationslagern wurden nach Neuengamme verlegt, Todesmärsche endeten dort. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Lager geräumt. Einige tausend Häftlinge verfrachtete die SS auf die Schiffe in der Lübecker Bucht. Oftmals ahnten die Familien nichts vom Schicksal ihrer Angehörigen und folgten falschen Fährten. Erst die Anfrage in Arolsen führte sie zu den richtigen Dokumenten. Dass Bruder, Vater oder Großvater zu den Opfern in der Lübecker Bucht gehörten, ist dann eine überraschende wie schmerzhafte Information. In manchen Fällen ist es uns auch möglich nach über 70 Jahren den Familien endlich die Grabstelle ihrer Nächsten mitzuteilen.
Bei der hastigen Räumung von Neuengamme wurden auch die so genannten Effekten von einem SS-Mann mitgenommen und in seinem Heimatort versteckt. Dort wurden sie später von den britischen Alliierten gefunden. Effekten sind persönliche Besitztümer der KZ-Häftlinge, die ihnen bei ihrer Ankunft abgenommen wurden. Diese Fotos, Füller, Schmuckstücke etc. wurden säuberlich beschriftet und bei Verlegungen in andere Lager mitgeschickt. In den 1960er Jahren kamen Effekten aus den Konzentrationslagern Neuengamme, Bergen-Belsen und Dachau in den Bestand des International Tracing Service, den heutigen Arolsen Archives. Etwa 2800 persönliche Gegenstände warten heute darauf, den Familien zurückgegeben zu werden.
Welche Bedeutung haben die Dokumente zur Cap Arcona heute, nach 75 Jahren?
Aufzuklären, was damals wirklich geschah, Gewissheit über das Schicksal der Vermissten zu bekommen, ist für die Familien der Opfer noch heute emotional ungeheuer wichtig.
Der Forschung ist es vor allem ein Anliegen, ein Gesamtbild der Geschichte zu erhalten. Die Online-Stellung ermöglicht die Vernetzung mit Berichten von Überlebenden und Dokumenten, die bei Gedenkstätten, Vereinen und in anderen Archiven aufbewahrt werden. Dokumente, Effekten, Lebensdaten können so zusammengeführt und gefunden werden. Voraussetzung dafür ist eine noch bessere Indizierung der Dokumente, sprich, Namen müssen erfasst werden, um sie auffindbar zu machen. Deshalb ist uns das Crowdsourcing-Projekt „Jeder Name zählt“ ein so wichtiges Anliegen.