Am 13. Juni wurde die #StolenMemory-Ausstellung am Haupteingang zum Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau eröffnet. Von den Arolsen Archives zum 82. Jahrestag der ersten Deportation polnischer politischer Häftlinge ins Konzentrationslager Auschwitz erarbeitet, beleuchtet die Ausstellung das Schicksal derer, denen ihre letzten Habseligkeiten bei der Ankunft im Lager weggenommen worden waren. Ziel der Kampagne ist es, die Familien der Opfer zu finden und ihnen die letzten Andenken an ihre Lieben zurückzugeben.

1963 übergaben die Alliierten dem Internationalen Suchdienst (heute: Arolsen Archives) eine sehr besondere Sammlung. Sie enthielt persönliche Gegenstände, welche die Nazis den Menschen bei Ankunft in den Konzentrationslagern wegnahmen. Dazu gehörten alltägliche Gegenstände wie Kämme, Rasiermesser, Schmuck, Uhren, Rosenkränze, Fotos und Briefe an ihre Lieben.

Während der ersten Jahre gezielten Suchens gaben die Arolsen Archives viele dieser Gegenstände erfolgreich an ihre rechtmäßigen Besitzer zurück. Seit 2016, dem Jahr, in dem die Arolsen Archives die #StolenMemory-Kampagne lancierten, sind weltweit mehr als 600 Familien gefunden worden.

 

Der erste Deportationstransport nach Auschwitz

Am 14. Juni 1940 deportierten die Nationalsozialisten in einem ersten Transport von Tarnów aus 728 politische Häftlinge ins Konzentrationslager Auschwitz.

“Wenn wir die Stapel an Koffern, Brillen und Schuhen sehen, die von den hier in Auschwitz Ausgelöschten übriggeblieben sind, denken wir an die Menschen, die einen schrecklichen Tod erlebten. Aber wir blicken nicht nur auf die Gegenstände, wir sehen auch die Geschichten der Opfer, die ihrer Würde und Identität beraubt wurden,“ sagte Floriane Azoulay, Direktorin der Arolsen Archives, bei der Eröffnung.

“Dank des Brückenbauens zwischen Organisationen, sind so viele dieser Schicksale zurückverfolgt worden. Wie wichtig diese Gegenstände sind, erfährt ein jeder von uns vielleicht dann, wenn diese lieben Menschen von uns gegangen sind,“ bemerkte Andrzej Kacorzyk, stellvertretender Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau.

 

Direktorin der Arolsen Archives Floriane Azoulay and stellvertretender Direktor des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau Andrzej Kacorzyk

 

Auch wenn die Fotografien die persönlichen Gegenstände zeigen, geht es bei der #StolenMemory-Ausstellung nicht um die Gegenstände, sondern um das tragische Schicksal ihrer Besitzer*innen. Die sogenannten Effekten tragen dazu bei, die Geschichten der Verfolgten nachzuvollziehen und ihre Angehörigen zu finden.

Während der Eröffnung sprach die Direktorin der Arolsen Archives auch über den russischen Angriff auf die Ukraine und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die dort derzeit stattfinden. „Nunmehr seit Wochen werden entsetzliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit jenseits der Ostgrenze Polens verübt. Einmal mehr werden viele Familiengeschichten zerstört oder sind bereits zerstört worden, und Kinder und Enkel wachsen traumatisiert auf,“ stellte Floriane Azoulay fest.

“Es hatte den Anschein, als würde ein Angriffskrieg auf europäischem Boden nie wieder stattfinden, doch als Russland die Ukraine überfiel, wurde deutlich, dass nichts sicher ist und niemand sich sicher fühlen kann. Friede kann nicht als selbstverständlich betrachtet werden,” fügte sie hinzu.

 

#StolenMemory-Geschichten

Zu den Personen, die im ersten Transport ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurden, gehörte Ludwik Grąz, der seinen Schulausweis mit Foto bei sich trug. Im Lager, in dem er drei Jahre zubrachte, wurde ihm die Häftlingsnummer 82 zugewiesen. Später wurde er ins Konzentrationslager Neuengamme verlegt. Er kam vermutlich in der Lübecker Bucht ums Leben, als die Schiffe, auf die die deutschen Besatzer die Häftlinge nach ihrem Todesmarsch verfrachtet hatten, versehentlich bombardiert wurden. Ludwiks Habseligkeiten sind bereits an seine Angehörigen zurückgegeben worden.

Im ersten Transport befand sich auch ein 1-7jähriger Pfadfinder namens Bolesław Hermanowicz. Er hat eine Kette mit einem Kreuz und eine Uhr hinterlassen. Seine Mutter, die nach dem Krieg nach ihm suchte, sah ihn nie wieder. Bolesławs Habseligkeiten wurden seiner Familie übergeben – dank der Unterstützung durch die Journalistin Jowita Flankowska.

 

Die #StolenMemory-Ausstellung wird bis Ende Juni im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau zu sehen sein.

 

Wilhelm Tomasik, 25, aus Krakau, gehörte auch zu diesem Transport. Er überlebte Auschwitz, er überlebte Neuengamme, er überlebte den Krieg. Aber wie viele andere ehemalige Häftlinge, sprach er zu Hause nie darüber. Jahre später fand sein Enkel im Online-Archiv der Arolsen Archives Informationen über seinen Großvater und das Schulzeugnis, das Wilhelm bei sich hatte, als er ins Lager verschleppt wurde.

Neben Ludwik, Bolesław und Wilhelm waren Waldemar Rowiński, Edward Golik und Stefan Suderowicz auf dem ersten Transport. Auch ihre Geschichten werden in der Ausstellung erzählt. Wir sind noch auf der Suche nach ihren Angehörigen, um ihnen die Fotos, Scheine, Uhren und Dokumente, die sie bei sich hatten, als sie ins Lager verschleppt wurden, zurückzugeben.

 

Persönliche Gegenstände von 2.500 Häftlingen

Zurzeit verwahren die Arolsen Archives noch etwa 2.500 Gegenstände aus dem Besitz von Häftlingen, darunter mindestens 900 aus Polen. So viele Familien gilt es also noch zu finden.

Wir möchten euch ermuntern, bei der #StolenMemory-Kampagne mitzumachen. Jeder kann sich an der Suche beteiligen und muss dafür nicht einmal das Haus verlassen. Wenn wir bisher nicht von Freiwilligen unterstützt worden wären, wären viele Familien nicht gefunden worden. Es ist dem Eifer einzelner, der Schüler und Schülerinnen, die von ihren Lehrern und Lehrerinnen motiviert wurden, der Geschichtsinteressierten und Journalisten und Journalistinnen zu danken, dass die Suche nach diesen Familien fast 80 Jahre nach Kriegsende noch immer möglich ist. Familienangehörige zu finden kann mehrere Wochen dauern, manchmal gelingt es aber auch in wenigen Tagen.

Dokumentenaustausch mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau

Die Arolsen Archives pflegen eine langjährige Kooperation mit dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, um breiten Zugang zu Informationen und Dokumenten zu ermöglichen. Dank dieser Zusammenarbeit, verfügen die Arolsen Archives bereits über mehr als 50.000 hochwertige Scans einschlägiger zeitgeschichtlicher Dokumente. Umgekehrt konnten die Arolsen Archives zu den Ressourcen der Auschwitz-Gedenkstätte beitragen, indem sie die Rekonstruktion des Schicksals von Häftlingen ermöglichten, die von Auschwitz in andere Konzentrationslager verlegt wurden.

Die derzeit im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau gezeigte Ausstellung wird auch von einer Online-Ausstellung begleitet.

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